Bevormundung oder Prävention?

    Diskussion um Direktabzug des Steuerbatzens erhitzt die Gemüter

    Was in anderen Ländern Usus ist, soll nun auch in der Schweiz eingeführt werden: Die Steuern könnten bald direkt vom Bruttolohn abgezogen werden. Und ausgerechnet Basel Stadt soll als Pionierkanton den Anfang machen. Im Herbst 2017 soll der Gesetzesvorschlag vorgelegt werden. Eine hitzige Debatte ist vorprogrammiert. Auch wenn der direkte Steuerabzug (noch) für jede Person auf freiwilliger Basis ablaufen soll.

    (Bild: Fotolia) «Tasche leer» – Diese Situation ist bei rund 10 Prozent der Schweizer Steuerpflichtigen gefürchtet, wenn der Brief mit der Steuerveranlagung zu Hause eintrifft

    In Basel Stadt soll man künftig die Wahl haben können, dass systematisch zehn Prozent des Lohnes für die Steuern zurückbehalten werden. Die Befürwortenden argumentieren mit der präventiven Wirkung, da knapp über 10 Prozent der steuerpflichtigen Schweizerinnen und Schweizer laut Bundesamt für Statistik Steuerschulden aufweisen. Bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Betroffenen seien diese Steuerschulden sogar beträchtlich.

    Vorwurf der Bevormundung
    Die Gegner jedoch sagen, dass man nunmehr dabei sei, einen Schritt mehr in Richtung Bevormundung und man spricht offen über einen weiteren Beweis, wie wenig Vertrauen man von Seiten Behörden der Bevölkerung entgegen bringe. Unterstützt werden die Gegner dieses Systemwechsels auch von den Arbeitgeberverbänden.

    Gesetzesvorschlag mit hohem Mass an Zündstoff
    Basel Stadt soll also den Anfang machen und die anderen Kantone mit dem Gesetzesvorschlag zum Nachziehen animieren. Es ginge, so die Initiantinnen und Initianten (vornehmlich aus dem grünen und linksliberalen Parteienspektrum), vor allem um jene Menschen, die nicht bloss aus Nachlässigkeit vergessen hätten, genügend Geld für die Steuern auf die Seite zu legen. Ihnen könnte man helfen, indem man die Steuern direkt vom Lohn abzieht und somit eine unangenehme Überraschung beim Erhalt der Steuerrechnung verhindern.

    Auch wenn der Steuerabzug freiwillig sein soll, hat dieser Vorstoss ein hohes Mass an Zündstoff. Die Vertrauensfrage wird schnell gestellt und man befürchtet eine Erweiterung der Bürokratie in Behörden und in den Unternehmen. Auch wenn den Arbeitgebern für den entstandenen Aufwand eine Provision vergütet werden soll. Schnell machte zudem das Wort «Bevormundung» die Runde. Und wichtig zu wissen: Wer die Steuern gemäss neuem System nach dem bisherigen Prinzip bezahlen möchte, muss sich aktiv vom automatischen Abzug befreien. Gegner meinen, das sei vielen zu umständlich und deshalb würde man diesen Systemwechsel stillschweigend akzeptieren.

    Über zehn Prozent betroffen
    Tatsache ist: Zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer sind mit der Steuerzahlung im Rückstand. Gemäss Bundesamt für Statistik besitzen 10,3 Prozent der Bevölkerung Steuerschulden. Speziell gefährdet sind jüngere steuerpflichtige Leute. Gemäss Untersuchungen von cash.ch sollen 81 Prozent aller Personen, die in der Schweiz zur Schuldenberatung gehen und nicht quellenbesteuert sind,  von massiven Steuerschulden geplagt sein. Scheinbar ist die Idee mit dem Direktabzug nicht unbeliebt in der Schweizer Bevölkerung, denn einige Umfragen in den letzten Jahren deuteten darauf hin, dass solche Präventivmassnahmen mehr Verständnis als Unbehagen oder Gefühle der Bevormundung verursachen.
    Die Vorteile des Systemwechsels liegen also auf der Hand: Da der betreffende Lohnanteil gar nie in die Hände des Arbeitnehmers kommt, gerät diese Person nicht in Versuchung, dieses Geld für andere Dinge auszugeben. Eine detailliertes Gutachten zum Thema von FehrAdvice & Partners kommt denn auch zum Schluss, dass ein solches System die Steuerschulden und die private Gesamtverschuldung reduzieren könnte und in der mittleren Frist viele Verschuldungen erst gar nicht entstehen liesse (Quelle: cash).

    (Bild: JoW) Rathaus Basel-Stadt: Hier wird man im Herbst 2017 über den Gesetzesvorschlag debattieren

    Was ist das «Opt-out-Prinzip»?
    Wichtige Grundvoraussetzung für eine hohe Wirkung bei solchen Präventivmassnahmen sei das sogenannte «Opt-out-Prinzip». Dass heisst, der Direktabzug soll zum Regelfall werden und um dies ändern zu können, muss die betroffene Person von sich aus aktiv werden. Wer nichts unternimmt, dem würden – in diesem Falle nach den Plänen des Kantons Basel Stadt – monatlich 10 Prozent vom Lohn abgezogen.

    Kritiker dieses Systems – vor allem bürgerliche Parteien – appellieren aber an das Recht einer jeden einzelnen Person auf Ausübung der Eigenverantwortung.

    Der Arbeitgeberverband Basel spricht dazu Klartext: «Wir lehnen das Anliegen vehement ab», liess man schon kategorisch verlauten. Mehr administrativer Aufwand und höhere Kosten (trotz eventueller neuerer Lohnsoftware) würden sich nicht lohnen, nur weil einige Bürgerinnen und Bürger ihrem Pflichtbewusstsein nicht nachkämen. Und man liess zudem durchblicken, dass man «nicht zum Handlanger der Steuerbehörden» werden wolle. Die Arbeitnehmer müssten ohnehin auch bei einem Systemwechsel die jährliche Steuererklärung ausfüllen.

    Basel möchte Vorreiterrolle einnehmen
    Die hitzigen Diskussionen zwischen beiden Lagern sind schon in vollem Gange. Noch ist aber der Gesetzesvorschlag nicht vorgelegt. Es sind noch einige Instanzen und Hürden zu nehmen Frühestens im Herbst 2017 wäre alles spruchreif und der Systemwechsel könnte definitiv angenommen werden. Kritiker werfen den Initianten Übereifer vor und Profilierungssucht. Man wolle unbedingt eine Pionierrolle übernehmen. Dabei sei jetzt schon bei den meisten die Wahrnehmung der Eigenverantwortung die Regel und viele würden entweder das Geld für die Steuern zurückhalten, monatlich einen Teil vorauszahlen oder einen Dauerauftrag einrichten.

    JoW


    Wie überall auch in Basel grosse Unterschiede

    In Basel-Stadt beträgt das Vermögen laut der Steuerstatistik aus dem Jahre 2016 bei 450’000 Franken pro Steuerveranlagung. Im Klartext bedeutet dies, dass dies der durchschnittlich  zu besteuernde Betrag ist, den die Baslerinnen und Basler auf ihrer Steuererklärung angeben. Weil Ehepaare nur eine Steuerveranlagung einreichen, dürfte das Durchschnittsvermögen pro Kopf deshalb etwas tiefer liegen.

    Dieser Betrag erscheint nun recht hoch und manch eine/r wird sich sagen: «Da falle ich ja massiv ab». Aber die Verteilung der Vermögen und der Einkommensstrukturen im Stadtkanton ist sehr ungleich. Ein Beispiel aus der Statistik: In den verschiedenen Quartieren sind die Unterschiede bezüglich Vermögenswerte und Einkommensstrukturen frappant. Auf dem Bruderholz ist beispielsweise das Durchschnittsvermögen über zweieinhalb Millionen Franken. Im Klybeck-Quartier kommt man auf etwa 50’000 Franken pro Person.

    Ausserdem gibt es auch klare Tendenzen bezüglich der «versteckten Armutsentwicklung» in der Schweiz, die auch auf die Region zugtreffend seien: Von den steuerpflichtigen Menschen befinden sich Leute im Rentenalter (vor allem Alleinstehende), junge Erwachsene und Alleinerziehende in Gefahr, in die Armutsfalle zu treten. Jeder achte Einwohner der Schweiz ist entweder arm oder armutsgefährdet. Nicht zu vergessen die so genannten «Working Poor».

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