Kompromisslos gegen rassistische und antisemitische Beleidigungen

    Wie stark ist Rassismus und Antisemitismus verbreitet in unseren Stadien? Einige Sensibilisierungsprojekte widmen sich diesem Thema. Denn diese Frage beschäftigt viele – besonders seit in den letzten Monaten sich unschöne Vorfälle in Stadien Europas wiederholten. Wir haben Josef Zindel – ein absolutes «Basler Original» und ein Insider in Sachen Fussball und Fanarbeit – hierzu befragt.

    (Bild: Pexels) Manche haben sich im Stadion nicht unter Kontrolle und hauen rassistische oder antisemitische Sprüche raus (Symbolbild). Zum Glück wird dies in der Schweiz in den Fankurven nicht kultiviert. Und dennoch ist Sensibilisierung angebracht…

    «Tatort» St. Jakob Park, Family Corner vor rund zwei Wochen: Der FC Basel spielt im Joggeli gegen den FC Luzern. Beim Stand von 1:0 verlor Michael Lang in der 83. Minute den Ball in der eigenen Hälfte an einen FCL-Spieler, der daraufhin den Ausgleich markierte. Die Reaktion eines Zuschauers: «Du Jud› …». Ein anderer Zuschauer drehte sich um und zeigte Zivilcourage mittels einer mit deutlichen Worten formulierten Kritik. Die Antwort des «Verbaltäters» war mit dessen Entschuldigung zufriedenstellend.

    Solche Vorkommnisse sind nicht selten. Auch wenn manche Sensibilisierungsprogramme Erfolg zeigen. So beispielsweise «Changing the Chants», welches vom Anne Frank Haus Amsterdam, dem fare network (Football against Racism in Europe), dem niederländischen Erstligisten Feyenoord Rotterdam und Borussia Dortmund patroniert werden. Das Projekt wird mit Mitteln der Europäischen Kommission finanziert. Ein wichtiger Bestandteil des CtC-Projekts ist die Arbeit mit unterschiedlichen Zielgruppen, mit Multiplikator/innen und Fans, die jene ansprechen, die zuvor mit antisemitischen Gesängen im Rahmen von Fussballspielen auffielen oder mit einem Stadionverbot belegt wurden. Auch «Good-Practice»-Beispiele für den Kampf gegen Antisemitismus aus ganz Europa werden gesammelt.

    Wie beurteilt aber Josef Zindel, langjähriger FCB-Kommunikationschef, Chefredakteur von «Rotblau», seit 2020 Präsident im Verein Fanarbeit Schweiz und ein Fussball-Insider durch und durch, den «état d’ésprit» der Fans in Fankurven und im Publikum generell?

    Josef Zindel, auch unter den Fans und Stadionbesucher/innen, die nicht als «Ultras» gelten, hört man immer wieder antisemitische Bemerkungen oder rassistische Äusserungen während eines Fussballspiels. Was kann man, ausser Sensibilisierungskampagnen und Zivilcourage, noch dagegen tun?
    J. Zindel: Bedauerlicherweise nicht viel mehr, als in der Frage bereits erwähnt wird. Die Rassismusfrage ist ein Problem und nicht per Knopfdruck oder mit einer knalligen Massnahme auf die Schnelle und schon gar nicht nachhaltig zu lösen. Ich wage allerdings zu behaupten und kann das auch immer wieder in sogenannten Ereignis-Protokollen der Behörden lesen, dass die Rassismus-Problematik im Vergleich zum Beispiel mit den Sechzigerjahren etwas entschärft werden konnte. Auch dank intensiver Sozialarbeit in den Vereinen, wobei hier zwei Bemerkungen hingehören: Man möge bitte diese Antwort nicht als Schönfärberei oder Ignoranz werten, sondern zur Kenntnis nehmen, dass jeder einzelne Rassismus-Fall in der Gesellschaft und damit auch in den Stadien zu viel und entschieden zu verdammen ist.

    (Bild: Bildarchiv Basel-Stadt) Es wird seit Jahren eine deutliche Abnahme von gesellschaftlich fragwürdigem Inhalt bei den Fangesängen im St. Jakob Park vernommen. Und dennoch bekommt man «spontane Worthülsen» mit antisemitischem oder rassistischem Inhalt vereinzelt zu hören.

    Welche Massnahmen fruchten in der Regel gegen verbale rassistische oder antisemitische Aussagen innerhalb einer Fan-Community?
    Nun, dazu sollte man wissen, dass die Fanarbeit generell nicht verantwortlich gemacht werden darf, wenn es seitens von Fans zu unschönen Aktionen kommt, zumal ich Ihre Fragestellung insofern etwas stimmungsmachend wahrnehme, weil nach meinen Beobachtungen und Erkenntnissen schon seit geraumer Zeit zum Beispiel im St. Jakob Park keine solchen Vorkommnisse in Form von lautstarken verbalen Äusserungen festzustellen waren. Ich finde es zudem scheinheilig und ungerecht, wenn man sich gerade in verbalen Rassismus-Vorfällen, die es sicher auch an den Stammtischen gibt, allein auf die Fanszenen im Fussball fokussiert, ohne dass diesbezüglich dem Fussball einen Persilschein ausgestellt worden sei. Aber ausser ständigem Dialog mit allen Playern hat die Fanarbeit keine Möglichkeiten, in dieser Frage aktiv zu handeln, wie es der Gesetzgeber tun muss oder müsste. Die Fanarbeit ist klassische Sozialarbeit ohne jegliche juristischen Rechte und von ihr darf nie und nimmer erwartet werden, dass sie eine Art von Polizei- oder Sicherheitsarbeit leisten soll und am Ende des Tages gar Fans, die sich etwas Krummes geleistet haben, bei den Behörden zu denunzieren oder auf Verlangen der Behörden diesbezüglich Namen zu nennen, so wie das auch im Alltag von der Sozialarbeit, zum Beispiel der Strassenarbeit, auch nicht verlangt werden darf. Würde die Fanarbeit oder die Sozialarbeit Namen preisgeben, könnte sie eher heute als morgen einpacken, weil sie dann jegliche Akzeptanz und jeglichen Respekt bei den Fans verlieren würden.

    Wie bewerten Sie die Fangesang-Tradition in Basel und generell in der Schweiz?
    In der Regel als positiv, kreativ, gut für die Stimmung im Stadion und sie schweissen das Publikum zusammen. Die Fangesänge und Choreografien haben in der Schweiz im Vergleich zu früher deutlich zugenommen und damit auch an Bedeutung, und das nicht nur beim FCB. Auch der FCZ, YB, der FC St. Gallen oder der FC Luzern haben sehr aktive Fankurven mit einer unverhandelbaren Treue zu ihren Farben. Wobei es so ist, dass viele in der Fanszene nicht allein ihren Club mit den oft vielen Funktionären lieben, die manchmal tatsächlich mit einer gewissen Geltungssucht unterwegs sind, sondern die Mannschaft. Umgekehrt haben viele in der Fanszene ein grosses Geschichtsbewusstsein, was ihren Club betrifft. Namentlich in Basel beim FCB ist das der Fall. Und eines von etlichen Erlebnissen mit der FCB-Fanszene bleibt mir in Erinnerung: Ein Auswärtsspiel des FCB in der Champions League gegen Liverpool im berühmten Stadion an der Anfield Road. In diesem Spiel haben 3000 FCB-Fans im «Away End», wie der Gästefanbereich genannt wird, in Sachen lautstarker, kreativer Unterstützung der eigenen Mannschaft die Anhänger des FC Liverpool beeindruckt. Dabei war es eindrücklich, wie die Liverpooler Fans aus Anerkennung für die fantastische rotblaue Unterstützung dem Basler Anhang eine Standing Ovation widmeten. Noch überfällt mich beim Beantworten dieser Frage wieder jene Gänsehaut, wie ich sie schon am Spiel selbst bekam.

    (Bild: Pexels) «Ich halte die Fangesänge, die den Gegner oder die Mütter der Gegenspieler verunglimpfen, als unnötig und eigentlich unter dem Niveau, das ich in vielen Fankurven als verhältnismässig hoch empfinde.» (Josef Zindel)

    Was halten Sie von der Kampagne Changing the Chants? Würden Sie wünschen, Ihr Herzensclub wäre dabei?
    Ich gebe in Sachen Fangesänge nicht den Ton an, und Leute, die Kampagnen gründen, um Ungutes oder Unschönes zu verhindern versuchen, haben in der Regel immer meine Unterstützung. Und ich halte bei aller Verbundenheit, die ich mit den Fanszenen empfinde, Fangesänge, die den Gegner oder die Mütter der Gegenspieler verunglimpfen, als nicht schön und unnötig und eigentlich unter dem Niveau, das ich in vielen Fankurven als verhältnismässig hoch empfinde. Und manchmal denke ich auch so still vor mich hin, dass das ständige Moralisieren gewisser Seiten eher kontraproduktiv ist. Aber gegen rassistische und antisemitische Gesänge wehre ich mich kompromisslos, auch wenn ich mich an derlei im Joggeli in den letzten Jahren nicht mehr erinnern kann. Für mich sind rassistische Menschen und Antisemiten unter dem Strich nur das: unsäglich dumm und bösartig.

    Wie schätzen Sie die Entwicklung diesbezüglich ein für die nahe Zukunft? Werden Fans künftig «political or social correcter»?
    «Political correctness» als Thematik in der Gesellschaft ist grundsätzlich berechtigt und deren Notwendigkeit unbestritten. Aber auch hier, wo, wann und wie verhalten sich Fussballfans in rauen Mengen als politisch unkorrekt, dass man sie auch in dieser Frage wieder ans Licht zerrt? Dabei vergreifen sich andere mehr in der Tonalität als die Fussballfans – bis auf wenige Einzelfälle mit ihren Gesängen. Zum Schluss: Der Fussball ist weltweit kein lupenreines Gebilde und hat mitunter auch Züge, die mich als riesigen Fussballfan oft schier zum K… bringen, aber der Fussball ist garantiert nicht schlechter als die Gesellschaft, in der er einen ziemlich wichtigen Teil einnimmt.

    JoW / Interview: LaM

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