Mit spitzer Feder …

Sind Sie auch schon mal in Kontakt mit Ihrem inneren Kritiker gekommen? Mit so einer inneren Stimme, die Ihnen ungefragt und unerbittlich vermittelt, dass Sie wieder mal versagt haben, nicht nett genug waren, keine gute Mutter waren, keinen guten Job gemacht haben. Diese kleinen, nagenden Gedanken, über den Tag verteilt, die einem dann immer im Kopf herumschwirren und nicht loslassen. Wie oft am Tag üben wir uns in Selbstkritik, wie sehr ist es bereits Teil unserer eigenen Identität geworden? Wenn wir solche Sätze innerlich lediglich hören würden, ohne ihnen Glauben zu schenken, würde dadurch unser gutes Lebensgefühl kaum getrübt werden. Doch dummerweise lösen solche Gedanken oft Gefühle aus, die wir meist nicht gerade als angenehm empfinden. Ich jedenfalls war wirklich gut, auf mir selbst herumzuhacken und den Stress unermesslich zu steigern, so dass sogar mein Körper darauf reagierte. Ich lernte meinen inneren Kritiker bei meiner Psychiaterin kennen. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht richtig bewusst, wie oft ich wirklich am Tag negativ über mich selbst denke, manchmal nur in ganz kleinen Dingen. Wie oft ich mich selbst hart kritisiere, mit mir viel härter ins Gericht gehe als ich es jemals mit anderen tun würde. Oftmals kommt dieser Plagegeist auf leisen Sohlen und tyrannisiert uns bis aufs Blut. Mein inneres Kind hat er oftmals richtig zerfetzt und ich habe es zugelassen.
Wir verdrängen, betäuben uns, lenken uns ab oder laufen weg. Kurzfristig mögen diese Methoden helfen – langfristig eher nicht. Wir halten oft an Gewohnheiten fest, auch wenn sie schädlich sind für uns, weil es uns so vertraut ist. Diese Gedanken tragen wir schon seit Jahren mit uns herum und sie sind nicht von einem Tag auf den anderen abzustellen. Viel Übung über viele Monate und Jahre werden langsam die Gewohnheit ändern. Ich ging in eine harte Schule und trainierte den inneren Kritiker auszuschalten. Ich versuche mich selbst dabei zu ertappen. Immer wenn ich wieder in die Negativspirale abgleite, dann horche ich kurz auf. Bremse mich. Werde mir bewusst, was da eigentlich gerade passiert. Und manchmal braucht es immer noch etwas länger, bis ich kapiere, dass ich dem inneren Kritiker wieder auf den Leim gegangen bin.
Wie heisst es doch so schön: Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal. Fazit: Selbstgeisselung schadet. Doch es geht auch anders: Es ist möglich, Selbstkritik nicht mehr als Teil der eigenen Identität zu spüren. Sich dessen bewusst zu werden, ist der erste Schritt dazu. Der zweite ist es meiner eigenen Erfahrung nach, schlechte Gewohnheiten und Ablenkungsmuster und Vermeidung bewusst zu erkennen und durch etwas Schönes, das mir Freude macht, zu ersetzen. Es ist wichtig, sich wirklich mit sich selbst auseinanderzusetzen und nicht vor sich selbst zu flüchten. Noch wichtiger ist, in schwierigen Momenten mitfühlend mit sich umzugehen, wie wir das mit Freunden tun würden, denen es gerade schlecht geht. Gehe ich in schwierigen Situationen freundschaftlich, ja liebevoll mit mir um, beruhige ich mich schneller – und kann so wieder schneller klar denken und handeln. Ich akzeptiere die eigenen, negativen Gefühle, tröste mich und ermutige mich selbst. Mir hilft besonders, mich selbst zu umarmen. Das nennt man Selbstmitgefühl – es ist kein esoterischer Hokuspokus. In solchen Situationen führe ich mit meinem Schutzengel ein Selbstgespräch. Das ermöglicht mir eine grössere emotionale Distanz. So kann ich die Gefühlslage objektiver einordnen und reflektieren. Selbstgespräche führen hat denselben Effekt wie das Schnurren bei den Katzen – es beruhigt.
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin



